ABOUT

port-enderlein-d-screen

1963 in Karl-Marx-Stadt (Chemnitz) geboren
1980–89 Lehre und berufliche Tätigkeit als Schriftmaler
1990–95 Studium an der Kunsthochschule Berlin-Weißensee
1995–96 Meisterschüler Prof. D. Goltzsche
lebt und arbeitet  in Berlin 

Ausstellungen u.a. 
Stendal, Galerie im Winckelmann-Museum
Schwetzingen, Xylon-Museum+Werkstätten
Grenchen (Schweiz), Triennale
Frankreich, Arstampa
Bordeaux (Frankreich), Galerie MLS
Rügen, Galerie uhleck.hagen
Berlin, Galerie Amalienpark


NEUE BILDER VON MARTIN ENDERLEIN
von Thilo Billmeier

Martin Enderleins Malerei beschäftigt sich mit dem Verhältnis von Figur und Raum. Waren es zu­vor skulpturartige Figuren, die im Zusammenspiel mit architektonischen Fassungen eine eigene Le­bendigkeit gewannen, so zeigen die Bilder aus den vergangenen beiden Jahren starkfarbige Stadtan­sichten, in denen einzelne Figuren, Paare oder Figurengruppen auftreten. Die Gestalten finden sich in eher statischen Situationen aufeinander bezogen, sie werden als Passanten zu Momenten der Ve­dute oder treten als Proszeniumsfiguren aus dem Bild heraus. Überall entwickeln Enderleins Bild­personen sehr unter­schiedliche, akute Formen von Plastizität, die sie mit den Landschaften teils ver­mitteln, teils grundsätzlich aus ihnen herauslösen.


Gemeinsam ist den meisten Stadtansichten Enderleins, dass sie sich über mehrere Leinwände er­strecken. Diese Eigenschaft teilen auch reine Landschaften oder Szenarien, in denen beispielsweise einzelne Boote zu Protagonisten werden. Die Mehrteiligkeit erlaubt zunächst, die Leinwände als einzelne Bilder zu realisieren. Dadurch wächst zugleich jedoch dem Gesamtraum eine besondere Form innerer Rhythmik zu. Da die Raumteile eigene Perspektiven, Proportionen und Lichtverhältnisse aufweisen, kommt es vor allem an den Bildkanten zu Brüchen. Durchlaufende Li­nien und Farbkombinationen stellen dann Raumzusammenhänge her, die die Ebene betonen und die einzelnen perspektivischen Muster wieder miteinander verklammern. So entstehen lebendige Reli­efs, deren Dynamik auf die Blickbewegungen vor der Leinwand zurückverweist. Diese blenden ihre Aktivität in die Realität des Gesehenen ein und können vor den durch Brüche dynamisierten Raum­profilen reflektiv werden. Sie wirken synthetisierend durch die Synchronisation von Farbverläufen und -ebenen wie durch die Rhythmisierung von Fakturbestimmungen, in denen sich das Kolorit in Erregungs- und Entspannungszustände übersetzt. Eine besondere Rolle spielen bei dieser Form von Bildorganisati­on Raumflecken, die sich der vereinheitlichenden Gesamtbewegung entziehen. Zu ih­rer Ge­staltung dienen Enderlein Motive wie Treppen mit ihren Geländern und Handläufen, aber auch Schatten- und Texturverdichtungen. Die Funktion solcher Raumnester besteht darin, die auf Synthese gestimmte Blickbewegung auf neue Weise für Brüche und Eigenständigkeiten im Bild zu sensibili­sieren. 


Es sind primär die Figuren, die die so sensibilisierte Wahrnehmung in sich aufnehmen. Die Plastizität, in der sie sich von der Einheit des Raum- und Farbgeschehens grund­sätzlich abset­zen, ist die Form, in der sie sich für den pathischen Blick öffnen. Weil die Figuren um ihre Eigen­ständigkeit sozusagen be­sorgt scheinen, weil sie, umgekehrt, stets Gefahr laufen, im Raum­ganzen unterzugehen, können die einzelnen Bestimmungen ihrer Plastizität – Undurchdringlichkeit, Raum­lage, Proportion, Gewicht etc. – auf Enderleins Bildern zu Ausdrucksformen von Existenzla­gen werden. Es gibt hier Gestalten von Isolation, Unsicherheit und Trauer, denen jedes Sentiment fehlt und als deren Kern die Malerei Substanz und Lebendigkeit freilegen kann. Sie erscheinen vor Ku­lissen, die in mitunter künstlicher Helligkeit strahlen und das Sichtbare, das Klischee und das von der Malerei Gezeigte aus­einander treten lassen, damit sie in Hinblick auf Wahrheit und Glück befragbar werden.


Da der pathische Blick bei Enderlein in den Verfahren der Bildorganisation verankert liegt, können grundsätzlich auch seine reinen Landschaften existenzielle Inhalte formulieren. Die Grundla­gen hierfür werden in Tuschzeichnungen erarbeitet, in denen der Maler die realen Raumzu­sammenhänge bestä­tigt und die strukturalen Möglichkeiten ihrer malerischen Transformation er­kundet. Der so artiku­lierte Gegenstandsbezug bewirkt die eigenartige Intensität, das existenzielle Gewicht, das noch den skizzenhaftesten Landschaften Martin Enderleins eignet.